DIE JOGGINGHOSE IST DAS KLEIDUNGSSTüCK DER GENERATION STRESSFREI

Derzeit ist die klassische Adidas-Jogginghose mit seitlichen Streifen und abgesteppter «Bügelfalte» angesagt. Die «Vogue» nennt sie «das neue It-Piece im Street-Style». Neu? Sie war in den 1990er Jahren schon einmal gross in Mode. Doch das ist auch schon dreissig Jahre her.

Karl Lagerfeld hatte längst realisiert, dass die Sporthose nicht kleinzukriegen ist, als er 2012 in einer Talkshow des ZDF sagte: «Wer eine Jogginghose trägt, hat die Kontrolle über sein Leben verloren.» Kurze Zeit später zeigte er sie auf dem Laufsteg für Chanel. Nennt man das Kapitulation oder Anpassungsfähigkeit?

Der Legende nach wurde die Jogginghose vor hundert Jahren vom Franzosen Émile Camuset erfunden. Der Gründer der Trikotmarke Le Coq Sportif stellte eine neue Hose vor, in der sich Sportler vor und nach dem Wettkampf bequem dehnen und warmhalten konnten. Es dauerte keine zwei Jahre, bis Russell Athletics in den USA die Idee kopierte und die ersten «Sweatpants» präsentierte – Sporthosen aus meliertem Stoff, die Basis der heutigen Jogginghose. Es sollte bis in die frühen 1970er Jahre dauern, bis diese Hosen den Sprung auf die Strasse schafften.

Vom Home-Office auf die Strasse

Heute ist die Jogginghose aus dem Strassenbild kaum mehr wegzudenken. Ob in New York, London, Paris, Budapest, Rio oder Kopenhagen – die Welt trägt Trackpants, wie das Erfolgsmodell jetzt heisst. Sie ist in aller Regel aus elastischen Textilien gefertigt, sogenannter Wirkware, also fein gestrickten Stoffen aus Baumwolle oder Polyester, und hat einen dehnbaren Taillenbund mit Gummizug, ein Zugband zum Festzurren der Hose und mehr oder minder weite Beine.

Kosten tut die Fertigung eines solch schlichten Kleidungsstücks nicht viel: Je nach Produktionsland ist man mit 3 bis 30 Franken im Geschäft. Die Marge bis zum Verkaufspreis von 59 bis 490 Franken ist sowieso gut.

Die letzten Jahre haben den Höhenflug der Jogginghose noch einmal begünstigt. Die Pandemiejahre mit Home-Office und endlosen Netflix-Sofastunden haben die Welt daran gewöhnt, dass Hosen stressfrei sein können. Mit dem Ende der Infektionsschutz-Massnahmen hielt sich die Jogginghose aber weiterhin an den Beinen der Menschen. Plötzlich war es cool, oben Seidenbluse und Blazer und unten Jogginghose und Sneakers zu tragen. Der Zoom- und Teams-Look der Menschen ohne Unterleib wurde zum globalen Standard.

Ausserdem hat die Jogginghose viel dafür getan, ihre Art weiter zu diversifizieren. Ihre wichtigsten Merkmale sind inzwischen auch in den Sortimenten von braven Bünzlihosen-Herstellern wie Brax oder Hiltl zu finden. Dehnbarer Bund, Zugband und dehnbare Stoffe sind heute der Standard in der kommerziellen Konfektion.

Uniform von Mergim Muzzafer

Man nennt sie nun auch einfach «Joggers». Die meisten Online-Shops haben sie als eigene Kategorie aufgeführt. Denn kein Mensch will sich mehr in starre Konstruktionen zwängen. Erfahrene Händler wissen: Ist kein Stretch drin, bleibt die Hose liegen. Es sei denn, es handelt sich um Oversize-Schnitte, die ein anderes Trendphänomen sind.

Jogginghosen kletterten bis in die oberste Liga der Eleganz hoch. Es gibt sie von Dior oder Louis Vuitton, von Armani oder YSL. Sie sind, als raffinierte Hybride zwischen Sporthose und klassischer Anzugshose, auch Teil von festlichen Anzügen. Vor acht Jahren zeigte der englische Designer Paul Smith seinen «Travel Suit» aus hochgradig elastischer Stretch-Ware an Weltklasse-Kunstturnern. Seither kommt kaum ein Anzug mehr ohne Elastan oder Lycra aus.

Zwar wird die Original-Jogginghose immer wieder einmal als typisches Immigranten-Outfit verspottet, etwa in der Satiresendung «Giacobbo/Müller», wo sie die Uniform des Kosovo-Albaners Mergim Muzzafer war. Doch die Schweizer Jugend liebt die Sporthose. Sie trägt sie so selbstverständlich wie frühere Generationen ihre Jeans.

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